Metropolis

Geschrieben von:
Michael Boldhaus
Veröffentlicht am:
25. Oktober 2003
Abgelegt unter:
DVD

Der Film Metropolis ist Fritz Langs märchenhafte Zukunftsvision einer gigantischen Großstadt im Jahre 2000. „Eine Menschheitssinfonie von brausender Melodik und eherner Rhythmik“ versprach die Werbung der Ufa. Metropolis, das steht für eine triviale, kolportagehafte Handlung, die auch dem sozialromantischem Kitsch mitunter freien Lauf lässt: so bereits im Sinnspruch des Films: „Mittler zwischen Hirn und Händen muss das Herz sein.“ Metropolis steht aber ebenso für eine meisterliche visuelle Gestaltung, bei der großer Aufwand Hand in Hand mit einer brillanten Inszenierung einhergeht, die sich z. B. durch markante Bewegungsarrangements auszeichnet. Erwähnenswert ist aber auch die selbst heutzutage noch beeindruckende Tricktechnik. Spektakulär sind die nach dem Schüfftanschen Spiegeltechnik-Verfahren realisierten Tricksequenzen, die in Kombination mit raffinierten Beleuchtungseffekten gewaltige Bauten vortäuschen, wo „nur“ Modelle zum Einsatz kamen. Die enormen Schwierigkeiten und den allgemeinen Arbeitsaufwand verdeutlicht folgendes Beispiel: Die Aufnahme von 40 Meter Film einer Modellserie, was im fertigen Film nur etwa 10 Sekunden Lauflänge entspricht, benötigte fast acht Arbeitstage, wobei rund 2100 Einzelbilder belichtet werden mussten.

Wie wohl kein zweiter Film der Kinogeschichte ist Metropolis nach dem Flop von 1927 nicht allein durch rigorose Schnitte, sondern auch durch teilweise völlig veränderte Schnittfolgen und Neumontagen entstellt worden. Es existiert damit eine schwer überschaubare Vielzahl von mehr oder weniger stark unterschiedlichen Filmfassungen. Etwa ein Viertel der Premieren-Version muss dazu als verloren gelten.

Nach dem Zweiten Weltkrieg ist der Film erst nach und nach wieder entdeckt worden. Seit den 80er Jahren hat er sich rasant zum Kultobjekt ersten Ranges entwickelt. Spätestens seit der eher fragwürdigen, poppig bunten „Light-Version“, die Giorgio Morodor 1984 anfertigte und dazu mit seiner Musik unterlegte, wurde Metropolis geradezu zum Steinbruch für Regisseure, Musiker und Designer. Mit der Konsequenz, dass sich die Ästhetik seiner Filmarchitektur in x-facher Form in Spiel- und Werbefilmen, bis hin zum Video-Clip widerspiegelt. Metropolis gehört damit (besonders im Bereich des fantastischen Films) zum Bedeutendsten und Einflussreichsten überhaupt, erscheint vielen mittlerweile gar als Urform des Hollywoodfilms – wobei die „elektrische“ Belebung des Maschinenmenschen eventuell vergleichbares in James Whales Bride of Frankenstein (1935) inspiriert haben könnte. Hierfür stehen beispielsweise Blade Runner, Judge Dredd, die Filme der Batman-Reihe, The Road to Perdition und Matrix 2 aber auch Musikvideos von Popkünstlern wie Madonna und Queen. Und ebenso wurde der metallene Roboter zum Vorbild für C-3PO aus Star Wars und damit zur Pop-Ikone.

Die auf dem vorliegenden Doppel-DVD-Set von Transit-Film vertriebene Version beruht auf der in Zusammenarbeit mit der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung jüngst erstellten digital restaurierten Version des Films, die von Martin Körber und seinem Team in den Jahren 1998-2001 vorgenommen worden ist. Diese basiert auf der von Enno Patalas in den Jahren 1986/87 für das Münchner Filmmuseum montierten Fassung, wobei deren Bildfolge, soweit möglich, aus dem erhalten gebliebenen Negativ der Paramount-Fassung übernommen worden ist. Darin fehlende Teile wurden, soweit machbar, aus Nitrokopien erster Generation ergänzt.

Grund für diese Neubearbeitung war die so erreichbare hohe fotografische Qualität. Umkopiert wurde nicht auf dem üblichen fotografischen Wege, sondern digital, mit Hilfe des Computers. Wobei nach dem Einscannen Bild für Bild nachträglich bearbeitet und auf fotomechanischem Wege nicht entfernbare Beschädigungen, aber auch Qualitätsschwankungen der Kopien weitgehend an- und ausgeglichen werden konnten. Der Aufwand hat sich gelohnt: Erstmalig seit Jahrzehnten sind jetzt die großen Leistungen der Kameraleute Karl Freund und Günther Rittau wieder vollständig sichtbar. Im Gegensatz zu den früher im Fernsehen ausgestrahlten Fassungen erstrahlt das Bild jetzt fast durchweg scharf, ist klar und kontrastreich und sauber durchzeichnet. Nur gelegentlich machen sich geringfügige (digital nicht völlig entfernbare) Bild-Restschäden bemerkbar und auch Qualitätsschwankungen der unterschiedlichen Materialien sind eher sanft und wenig auffällig.

Zwar liegt auch in dieser Version zwangsläufig nicht die Originalfassung vor, sondern vielmehr eine dem Premieren-Original möglichst angenäherte, aus weltweit zusammengetragenen Bruchstücken montierte synthetische Fassung.

Metropolis ist in seiner Geschichte mit zahlreichen Musikfassungen aufgeführt worden – und auch die vorliegende Neurekonstruktion ist hierzulande im Rahmen der Berlinale 2001 zuerst mit einer neu komponierten Musik von Bernd Schultheis live gezeigt worden. Der Dirigent Bernd Heller hat sich um Wiederherstellung und Einrichtung der Originalmusik von Gottfried Huppertz verdient gemacht. Die vorliegende Einspielung erfolgte unter seiner Leitung mit dem Sinfonieorchester des Saarländischen Rundfunks. Bei den neu gezogenen Verleihkopien der Neurekonstruktion ist sie in Form einer Dolby-SR-Tonspur enthalten (www.transitfilm.de) und auf der DVD entweder in satt klingendem Stereo oder in Dolby Digital AC3-5.1-Sound anwählbar. Huppertz’ glanzvolle und prächtig klingende Komposition fußt auf wagnerscher Leitmotivik und Klanggestik, verwendet außerdem an Richard Strauss orientierte Chromatik und bezieht in Verbindung mit einprägsamer Melodik auch Klangmittel der Moderne (wie Ganztonakkorde und -skalen) ein.

Damit erstrahlt Metropolis, nach seiner Adelung als Weltdokumentenerbe der UNESCO (Memory of the World) im Jahr 2001, jetzt auch musikalisch wieder weitgehend im alten Glanz.

Die geschmackvoll gestaltete Digipack-Doppel-DVD-Box bemüht sich ernsthaft und weitgehend erfolgreich darum, eine möglichst definitive Ausgabe des Films zu sein. Neben dem informativen 12-seitigen Begleitheft wartet das Set mit einem zum Film anwählbaren Audiokommentar von Enno Patalas auf, der auf seinem Buch „Metropolis in/aus Trümmern. Eine Filmgeschichte von Enno Patalas“ fußt. Dementsprechend bietet dieser sowohl interessante Zusammenhänge als auch Hintergrundinfos nicht allein zum Film, sondern auch zur Huppertz-Musik. In einem knapp 10-minütigen Programm-Segment beleuchtet Martin Körber anhand von guten Beispielen sowohl Möglichkeiten als auch Probleme bei der Filmrestaurierung. Die knapp dreiviertelstündige Dokumentation „Der Fall Metropolis“ gibt eingehendere Informationen zur Entstehungsgeschichte des berühmten Films. Daneben sind noch diverse Fotogalerien sowie Biografien zu 13 Stab- und Besetzungsmitgliedern enthalten.

Sicher wird damit der Informationsbedarf des interessierten Zuschauers nicht erschöpfend bedient, so vielschichtig und umfangreich ist das Phänomen Metropolis. Zweifellos böte allein die Auswirkung der Filmarchitektur auf moderne Filme wie Blade Runner einiges an Material. Und auch die mühsame Rekonstruktionsarbeit, inklusive der damit verbundenen Suche nach verschollenen Filmteilen in aller Welt, böte Stoff genug für eine eigene satte Dokumentation. Die insofern etwas engen Grenzen der vorliegenden DVD-Edition in Sachen Zusatzmaterial sind aber zweifellos mit Budget-Restriktionen zu erklären und auch klar zu rechtfertigen; denn manches Wünschenswerte erweist sich als in vernünftigem Rahmen einfach nicht bezahlbar und ist damit schließlich nicht machbar.

Enno Patalas schreibt in seinem o. g. Buch von einer wünschenswerten DVD-Ausgabe des Films, die tiefe Einblicke in die Werkstatt des Restaurators geben würde. Eine die es erlaubt, beispielsweise die Einstellungs- und Szenenfolgen inklusive der entsprechenden Zwischentitel, mit ihren Varianten zu vergleichen, dabei ebenso Stand- und Arbeitsfotos einzusehen, Zensurkarten und das Drehbuch mitzulesen und auch verschiedene Musikfassungen parallel begutachten zu können: zugleich eine interaktive Version, die es dem Betrachter gestattet Teile selbst zu montieren. Eine derart aufwändige, historisch-kritische Studienfassung von Metropolis ist die jetzt von Transit-Film vorgelegte Edition zwar nicht und auch zur „Deluxe-Edition“ reicht es nicht ganz, aber in jedem Fall für eine klare Empfehlung: Die Box ist ihr Geld eindeutig wert.

Regisseur:
Lang, Fritz

Erschienen:
2003
Vertrieb:
Transit Film DVD
Kennung:
2969

Weitere interessante Beiträge:

Der kleine Lord

Der kleine Lord

Die Nibelungen

Die Nibelungen

Ratatouille (Blu-ray)

Ratatouille (Blu-ray)

Sag niemals nie

Sag niemals nie

Cinemusic.de