Pan’s Labyrinth

Geschrieben von:
Michael Boldhaus
Veröffentlicht am:
2. Juni 2007
Abgelegt unter:
CD

Score

(4.5/6)

Das Filmmusik-Jahr 2006 zählt sicher nicht zu den bisher stärksten. Beim genaueren Hinsehen finden sich aber gerade abseits der Mainstreamfilme einige überaus beachtliche Filmmusikalben, die aus der eher blassen Masse eindeutig herausragen. Nach den bereits im Rahmen des Osterprogramms 2007 vorgestellten The Good German und Blood Diamond seien hier noch drei weitere überaus bemerkenswerte Veröffentlichungen kurz vorgestellt, die bei den Sammlern sinfonischer Filmmusik ein Plätzchen verdienen.

Pans Labyrinth

Einmal nicht nach Hollywood, sondern vielmehr nach Spanien führt Javier Navarrete mit seiner Vertonung von Regisseur Guillermo del Toros (HellboyBlade II) Reflexion über die Franco-Diktatur in Pans Labyrinth (Originaltitel: El Laberinto del Fauno). Navarrete ist ein Vertreter der hierzulande noch wenig beachteten Riege spanischer Filmkomponisten, die sich durch qualitativ hochwertige Orchesterpartituren hervortun. Neben Alejandro Amenábar (Mar Adentro) ist Roque Baños ein weiteres Beispiel. Er fiel 2005 mit einer besonders feinen herrmannesken Vertonung zu Der Maschinist auf.

Pan, der altgriechische Hirtengott, steht mythologisch symbolhaft für die Ganzheit der Natur, das Gute wie aber auch das Böse in ihr, ohne moralische Wertung. In der Filmhandlung dient das Labyrinth Pans als Zufluchtsort der kindlichen Protagonistin Ofelia. Es ist ein Ort, wo sich fantasyhaft surrealistisch Gräuel des Franco-Faschismus spiegeln. Entsprechend begegnet Ofelia nicht nur angenehmen, vielmehr auch finsteren, abschreckenden Dingen. Dies macht auch der eindringliche musikalische Kommentar von Javier Navarrete deutlich. Navarrete charakterisiert Ofelias Unschuld durch das den Score bestimmende Thema, einem Walzer als Wiegenlied. Der Komponist formt daraus einen weitgehend monothematischen Score, wobei er mit Hilfe des mannigfaltige Variationen durchlaufenden Wiegenliedes die vielschichtigen Stimmungen des Films einfühlsam reflektiert, von lyrisch-zart bis düster und aggressiv-gewalttätig.

Navarrete arbeitet sehr gekonnt mit einem groß besetzten Sinfonieorchester plus Chor, erfreulicherweise ohne Klangsynthetik. Eine ausgefeilte Instrumentierung bereichert die meist chorisch-elegisch agierenden Streicher durch diverse Soli (häufiger des Klaviers) sowie geschickt eingesetzte Klangeffekte, wie Streicherpizzicati, Röhrenglocken, Harfe oder Läufe der Celesta. Ebenso sorgfältig platzierte chorale Einschübe sorgen für weitere Abwechslung im insgesamt sehr farbig gehaltenen Klanggeschehen. In den Suspense-Momenten geht es dezent modernistisch gefärbt zur Sache. Dabei gelingt es dem Komponisten insgesamt, von allzu vertraut anmutenden Vertonungsschemata Hollywoods ausreichend Abstand zu halten, also im Ausdruck eigene Stimme zu bewahren. Die gute, ja eindringliche Wirkung der Musik geht auch auf das Konto der unter Mario Klemens sowohl gut disponiert als auch engagiert aufspielenden Mitglieder des City of Prague Philharmonic Orchestra; wobei auch die Tontechnik tadellos gearbeitet hat.

Alles in allem erhält man ein trotz seiner Länge von rund 75 Minuten durchgängig sehr überzeugendes Höralbum, eines, das zudem bei jedem Hören besser wird. Das Score-Album von Milan zu Pans Labyrinth ist hierzulande leider nur als Import erhältlich.

The Nativity Story

Eine neue Verfilmung der biblischen Weihnachtsgeschichte, dieses Mal aus der Perspektive von Maria und Josef, ist Es begab sich aber zu der Zeit — Nativity Story. Für die oftmals raffinierte Kombination verschiedener Musikstile, die Verwendung von Instrumenten verschiedener Kulturkreise und deren Integration in einen modernen Klangkörper ist Mychael Danna durchaus bekannt. Dieses Mal hat er ein besonders vielschichtiges Projekt gewagt, in dem er neben Weltmusik des mittleren Ostens europäische Kirchenmusikstandards vom Mittelalter bis zum Barock sowie Instrumente Alter Musik eingebunden hat. Klanglich knüpft seine Vertonung bei Bruder Jeff Dannas ähnlich angelegter Musik zu The Gospel of John an. Dieses Mal geht es aber nicht allein darum, ein überzeugendes lokales Klangkolorit (hier der Zeit um die Geburt Christi) mit dem modernen Sinfonieorchester zu verbinden. Mychael Danna geht hier darüber deutlich hinaus. Er will in seiner Musik zugleich die Resonanz der Weihnachtsgeschichte in den verschiedenen Regionen Europas widerspiegeln und damit auch die Musikstile der auf das Jahr 0 folgenden Jahrhunderte einfangen. Dafür greift er auf überlieferte Weihnachtslieder zurück, wie auf das alte französische „Veni, Veni, Emanuel“, dem ein lateinischer Text aus dem 8. Jahrhundert zugrunde liegt, ebenso auf das aus dem Mittelalter stammende deutsche Weihnachtslied „Es ist ein Ros entsprungen“ oder auch auf das ins 16. Jahrhundert datierte „English Coventry Carol“. Neben gewöhnlichem ethnischem Instrumentarium sorgen in einigen Passagen sogar Mitglieder der sich um die Rekonstruktion der Musik des alten Roms bemühenden Gruppe „Synaulia“ mit ihren Nachbauten antiker Instrumente für besonders stimmige Atmosphäre. Zentral-Europa spiegelt sich neben den einerseits erwähnten Liedzitaten in den ebenfalls integrierten Instrumenten Alter Musik wie Drehleier und Viola da Gamba.

Das Genannte ist mit eigenem Musikmaterial derart sorgfältig und elegant verknüpft und verwoben, dass keine störenden Brüche auftreten. Dabei wird der Hörer auch nicht durch allzu ungewohnte Klänge in Serie irritiert und letztlich überfordert. Gegen Ende tritt das allseits geläufige „Stille Nacht, heilige Nacht“ in einem ungewöhnlichen Arrangement für Chor und Orchester hervor. Zusammen mit dem abschließenden, so überzeugend mittelalterlich klingend dargebotenen „Es ist ein Ros entsprungen“ bildet es gewissermaßen die schlichte, dafür umso beeindruckendere Krönung der Filmmusik.

The Nativity Story zählt damit zu den allerstärksten Leinwandvertonungen des Jahres 2006. Wertungsmäßig erscheinen hierfür fette viereinhalb Sterne (also mit Tendenz zu vollen fünf) gerechtfertigt.

Über die rund 65 Minuten Laufzeit ist das Album eine sowohl maßvoll exotische wie zugleich geläufige, aber eben dennoch neuartige musikalische Reflexion auf Weihnachten. Programmiert man einige stark rhythmisch akzentuierte dramatische Passagen heraus, erhält man über das obligate klingende Souvenir zum Film hinaus eine Weihnachts-CD der ganz besonderen Art. Im Übrigen eine, die geradezu perfekt aufgenommen worden ist, dementsprechend fantastisch klingt.

The Black Dahlia

Brian de Palmas ziemlich gefloppten Thriller im Noir-Stil The Black Dahlia • Die schwarze Dahlie vertonte Mark Isham. Isham, dessen Name häufig eher mit zweit- oder drittklassigen Scores in Verbindung gebracht wird, überrascht hier mit einer kleinen Sensation. Seine kühle, aber keineswegs reizlose Tonschöpfung knüpft besonders bei Jerry Goldsmith an: Das recht markante jazzige Flair des von der Trompete vorgetragenen Hauptthemas (interpretiert von Isham höchstpersönlich) erinnert besonders an Chinatown. In den lyrischen Partien treten außerdem Soli von Klavier und Englischhorn in Erscheinung. Die unterschwellig bedrohlich wirkenden Teile sowie die stark rhythmisch betonten Spannungsmomente rufen L.A. Confidental und besonders Basic Instinct in Erinnerung. (Gerade durch letzteren Bezug ist natürlich auch Bernard Herrmann mit im Boot.)

Ishams Musik ist thematisch-motivisch überzeugend durchgearbeitet. Sie macht vom geschickt variierten Hauptthema sowie einem davon abgeleiteten Motiv besonders reichlich Gebrauch. Daneben gibt es auch noch ein etwas unscheinbareres Liebesthema. Der Synthesizer bleibt außen vor. Dafür kommt originellerweise gelegentlich ein Theremin zu Wort. Sicher auch dank der kompetenten Arbeit der Orchestratoren Brad Dechter, Frank Bennett und Mike Watts wird The Black Dahlia auch von CD praktisch durchgängig zu einem feinen Noir-Score. Darüber hinaus ist diese Filmmusik ein echtes Highlight im Œuvre Ishams, ein Score, der seine erkennbaren Vorbilder keineswegs überstrapaziert. Auch klangtechnisch gibt es nichts zu beanstanden.

Dieser Artikel ist Teil unseres Spezialprogramms zu Pfingsten 2007.

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Mehrteilige Rezension:

Folgende Beiträge gehören ebenfalls dazu:


Komponist:
Navarrete, Javier

Erschienen:
2006
Gesamtspielzeit:
73:44 Minuten
Sampler:
Milan
Kennung:
M2 36190

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