David Arnold: Fragestunde in Ghent

Geschrieben von:
Magdi Aboul-Kheir
Veröffentlicht am:
6. November 2004
Abgelegt unter:
Special

Der Engländer David Arnold (42) gehört seit seinem Durchbruch mit Stargate — überhaupt erst sein zweiter Score — vor zehn Jahren zu den erfolgreichsten Filmkomponisten. Nach Stargate arbeitete er noch zwei Mal mit Roland Emmerich zusammen (Independence Day, Godzilla), außerdem vertonte er die drei jüngsten James-Bond-Filme.

Etliche seiner Filmmusiken sind rein orchestral (mit Hilfe seines Mitarbeiters Nicholas Dodd realisiert: die Emmerich-Filme, Last of the Dogmen, The Musketeer), er arbeitet aber auch gern elektronisch (Changing Lanes), verbindet Orchester und Synthesizer (Bond-Scores, Enough) und bezieht Pop-Elemente mit ein (Baby Boy, Shaft). In diesem Jahr lief The Stepford Wives mit seiner Musik in den Kinos.

Kürzlich hat David Arnold auf dem Filmfestival von Flandern in Ghent Film- und Musikstudenten, Journalisten und Fans Rede und Antwort gestanden. Im Folgenden die wesentlichen Statements.

David Arnold …

… über das Verwenden von Songs als Filmmusik.
Man muss sich darüber im Klaren sein, was ein Song in einem Film leisten soll — wo er platziert wird, welche Funktion er hat. Der Einsatz von Songs in Filmen geht Jahrzehnte zurück, und so lange ist das auch schon ein Streitpunkt. Songs im Film können großartig sein, das zeigen Scorsese und Tarantino, die kreativ damit umgehen. Auch in Trainspotting funktionieren die Songs. Es ist grundsätzlich also nichts Neues und nichts Schlechtes.

… über die Arbeit als Bond-Komponist.
David ArnoldDazu sind zwei Dinge zu sagen. Erstens: Jeder Mensch auf der Welt hat eine Meinung, wie James-Bond-Musik klingen soll. Zweitens: Entweder lautet die Kritik entweder „Es klingt zu sehr nach John Barry“ oder sie lautet „Es klingt zu wenig nach John Barry“. Es ist nicht leicht, damit umzugehen, mit dieser riesigen Erwartungshaltung. Man darf auch nicht vergessen, dass es bei den Bond-Songs vor allem um enorme Marketing-Entscheidungen geht. Das begann schon bei From Russia with Love. Lionel Bart hatte damals einen klasse Song geschrieben, Barry seinen ersten Bond-Score komponiert und den Song adaptiert. Gesungen wurde er von Matt Monroe, der Busfahrer war. Es war also der Song eines großartigen Songwriters für einen großartigen Film, adaptiert von einem großartigen Komponisten — und das hat die Latte ziemlich hoch gelegt, was ein Bond-Song ist und wie mit Bond-Songs umzugehen ist.

… über die Möglichkeit, mit dem Bond-Thema zu arbeiten.
Das Bond-Thema ist eines der größten Filmthemen aller Zeiten. Für mich stellt es ein tolles Sicherheitsnetz dar, denn es liefert einem immer Inspiration. Das Thema ist natürlich eine Notwendigkeit in den Filmen. In Goldeneye ist es zu wenig eingesetzt worden, dafür gab es viel Kritik. Daher war es dann in Tomorrow Never Dies, meinem ersten Bond-Score, wieder häufiger zu hören. Das Publikum will in einem Bond-Film etwas Bekanntes, aber auch etwas Neues hören.

… über seinen Song für Tomorrow Never Dies, der nicht als Main Title verwendet wurde.
Als ich als Komponist für den Film arbeitete, habe ich ganz naiv geglaubt, ich schreibe auch den Titelsong. Ich habe damals nicht kapiert, dass ich mit 3000 anderen Leuten in einer Schlange stand, die alle den neuen Bond-Song schreiben wollten — ich bekomme heute jede Woche zwei bis drei CDs mit Songvorschlägen für den nächsten Bond-Film. Bei Tomorrow Never Dies wurde mein Song von k.d. lang gesungen, und als ich den Film vertonte, habe ich den Song als Themenmaterial verwendet. Als ich im letzten Drittel des Scorings war, wurde bekannt gegeben, dass Sheryl Crow den Song machen würde. Mein Song kam schließlich in den End Title.

… über Die Another Day, für den Madonna den Bond-Song ohne Arnold schrieb und der auch thematisch nicht in seinem Score vorkommt.
Madonna stand der Idee nicht offen gegenüber, mit jemanden zusammenarbeiten. Ich musste aber irgendwann mit dem Scoring beginnen und konnte nicht warten, bis sie fertig war. Erst als ich die Hälfte dieses 105-Minuten-Scores geschrieben hatte, bekam ich den Song zu hören. Was hätte ich da noch einarbeiten sollen? Ich habe für den Score einige Motive geschrieben und mit denen gearbeitet.

… über die Arbeit an Shaft.
Das ist auch wieder so ein Fall, wo es ein bekanntes Musikstück gab, den Isaac-Hayes-Song zu dem Film von 1971. Ich war gerade in Frankreich und bekam einen Anruf: „Willst Du den Film machen? Du hast aber nur acht Tage Zeit.“ Es gab offenbar einen lang anhaltenden Streit zwischen dem Produzenten Scott Rudin und dem Regisseur John Singleton über die Musik. Aufgrund meiner Erfahrung mit Bond hab ich den Job wohl bekommen: Denn da hat man es auch mit einem Popklassiker zu tun, den es in die Gegenwart zu übersetzen gilt. Was den Einsatz des Shaft-Themas betrifft, ist das auch wie bei Bond: Wenn Bond etwas ganz Bond-typisches tut, kommt sein Thema. Und das muss man bei Shaft auch so machen — es gibt der Filmszene ein aufregendes Gefühl, wenn dieses Thema zum richtigen Moment eingesetzt wird. Ich hab dann in den acht Tagen eine Stunde Musik geschrieben.

… über die Arbeit für große Produktionsfirmen in Hollywood.
Man schreibt seinen Score, und dann sitzt da vielleicht die ungeeignetste Person im ganzen Universum, um über die Musik zu urteilen, Änderungsvorschläge zu machen und einem reinzureden. Oder es sind ganz viele Leute da, und jeder von ihnen sagt etwas anderes. Und am Schluss, im fertigen Film, fliegt dann lärmend eine Riesenpyramide durchs Bild, und man hört sowieso nichts von der Musik.

… über das Finden des richtiges Scoring-Ansatzes mit einem Regisseur.
2 Fast 2 Furious ist da ein perfektes Beispiel. Zwei Wochen hat Regisseur John Singleton gebraucht, um sich im Klaren darüber zu werden, welchen Ton er für den Score will. Ich dachte, es ist ein Film über Leute, die schnell Auto fahren. Techno-hafte Musik. Singleton wollte aber eher etwas in die Richtung von Buena Vista Social Club. Aber das merkt man heute nicht mehr, wenn man den fertigen Film sieht. Die lautesten und wichtigsten Geräusche in dem Film sind ohnehin die Schaltgeräusche.

… über den Unterschied zwischen Low- und Mega-Budget-Produktionen.
Egal, ob der Film 10 Dollar kostet oder 100 Millionen, der Job des Komponisten ist grundsätzlich der gleiche. Es geht darum, den richtigen Stilansatz zu finden, die richtige Dynamik, den dramatischen Bogen des Films nachzuvollziehen. Einfach zu wissen, was man wo warum macht. Was sich ändert durch das Budget, sind die Arbeitsprozesse. Bei meinem ersten Film, Young Americans, war da außer mir eine einzige Person: Ich saß mit meinem Yamaha-DX-11-Synthesizer in meinem Schlafzimmer und habe mit dem Regisseur Danny Cannon zusammengearbeitet. Das hat ihm ausgereicht. Bei Godzilla waren 30 bis 40 Leute daran beteiligt, man muss sich da auch auf persönlicher Ebene mit so vielen Menschen herumschlagen. Mehr Erwartungen, mehr Marketing, mehr Ego.

… über die Bedeutung von Demo-Tracks.
Die Produzenten interessieren sich nicht dafür, dass ein Demo nichts endgültiges ist. Auch wenn man ihnen sagt, das wird noch durch ein richtiges Orchester ersetzt, wird man danach beurteilt, wie das Demo klingt. Mein erster Rat an junge Filmkomponisten: Lernt ein Instrument. Und mein zweiter Rat ist schon: Lernt, gute elektronische Orchester-Demos zu machen. Die werden immer wichtiger, danach wird man beurteilt.

… über Erfolg und Karriere.
Es geht nur um den Erfolg der Filme. Auch wenn meine Stargate-Musik Mist gewesen wäre, hätte ich danach viele Angebote bekommen, weil der Film so viel Geld gemacht hat. Kennen Sie William Ross? Er hat hat Orchestrator gearbeitet, etwa für Alan Silvestri, er hat mit John Williams am zweiten Potter-Film gearbeitet; er ist großartig, besser als die meisten in der Branche. Er wollte vom Orchestrator zum Komponisten aufsteigen, hat fünf Filme in einem Jahr vertont, allesamt klasse Scores. Aber keiner der Filme war ein richtiger Erfolg, und so ist es mit seiner Karriere nicht weitergegangen. Wenn Stargate kein Erfolg gewesen wäre, würde ich wohl immer noch mit meinem Yamaha DX-11 in meinem Schlafzimmer sitzen.

… über den Einfluss von Temp-Tracks.
Wenn man sich meinen Main Title von The Stepford Wives anhört, dann klingt der nach Danny Elfman. Das Stimmenarrangement ist typisch für ihn. Da gab es einen klaren Temp-Track. Der Umgang mit Temp-Tracks sagt aber mehr über Regisseure und Produzenten aus als über Komponisten. Als ein Startpunkt für die Arbeit sind sie hilfreich, ich verstehe, in welche Richtung der Regisseur grundsätzlich will. Das heißt ja nicht, dass ich den Track völlig kopieren muss. Wenn ein Film allerdings mit einem Temp-Track vor Publikum getestet wird und sehr gut aufgenommen und beurteilt wird, hat man als Komponist möglicherweise ein Problem, weil sich die Produzenten nun nicht mehr vom Temp-Track entfernen wollen.

… über illegale Musik-Downloads aus dem Internet.
Elton John sagt, wenn jemand Musik herunterlädt, ist das schlecht, böse. Okay. Elton John gibt in der Woche 40.000 Pfund für Blumen aus. So what?

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